München/Berlin – Wer beim Stichwort Ballett an rosafarbene Tutus und ein bisschen Gehüpfe denkt, dürfte schon am Empfang des Berliner Studios «Becycle» skeptisch werden. «Nimm ein Handtuch mit rein, du wirst es brauchen», bekommt zu hören, wer zum ersten Mal am Barre teilnimmt.
Bekannt wurde Barre, als weibliche Hollywoodstars vor ein paar Jahren begannen, Fotos von sich beim Training an der Stange in sozialen Medien zu posten. Von Kalifornien aus kam der Trend nach Deutschland – wo sich vor allem die Tanzstudios über den Hype freuten. Klientel, das sie einst an die Fitnessstudios verloren haben, kehrt nun zurück an die Stange. «Die Schwelle ist viel niedriger als beim Tanzen», bestätigt Tessa Temme vom Institut für Tanz und Bewegungskultur an der Kölner Sporthochschule.
Im Trainingsraum in Berlin geht es nach einem kurzen Aufwärmprogramm direkt an die Stange. Den Blick zum Spiegel gerichtet, die Füße leicht nach außen gedreht, beugen die jungen Frauen ihre Knie. Rauf auf die halbe Spitze, in die Kniebeuge und wieder zurück. Noch einmal und noch einmal – bis es brennt. Hat das wirklich etwas mit Ballett zu tun? «Ich bezeichne es eher als Fitnesstraining an der Ballettstange», sagt Victoria Henze, die als Sportlehrerin und Tänzerin arbeitet und nebenbei den Barre-Kurs bei «Becycle» gibt.
Und tatsächlich liegt der Fokus der ganzen Stunde eher darauf, den Körper zu formen. Die Stange dient als Hilfe – etwa, um den Oberkörper darauf abzulegen, während die Teilnehmerinnen ihre Pomuskeln mit abwechselnd nach hinten gehobenem Bein stählen.
Wie genau das Training aufgebaut ist, hängt sehr vom Lehrer ab. Feststehende Übungen gibt es nicht, sagt
Barbara Heiner, die ein Buch zum Barre-Training geschrieben hat und in München selbst Stunden gibt. Heiner hat eine Yogalehrer- und eine Pilates-Ausbildung und richtet ihr Barre-Training auf einen Bewegungsfluss aus. Ihr Fokus ist weniger die Ausbildung einer perfekten Silhouette als vielmehr ein gesunder Körper, sagt sie.
Tessa Temme von der Sporthochschule freut sich einerseits über den Trend. Denn anders als etwa beim Crossfit oder hochintensivem Intervalltraining geht es beim Barre nicht in erster Linie um Schweiß, sondern um ein Gefühl für den Körper und die Bewegung. Ein großer Vorteil ist zum Beispiel, dass barfuß trainiert wird. Allein: So richtig löst das Barre-Training sein Versprechen nicht ein. «Problematisch ist der Umgang mit der Stange», sagt Temme.
Im Tanztraining ist sie dafür gedacht, Dinge zu üben, für die man noch Unterstützung braucht – «immer mit dem Ziel, sich irgendwann von der Stange zu lösen.» Barre dagegen erhebt das Training an der Stange zum Konzept. «Die Teilnehmer lernen also nie, die Übungen frei im Raum zu schaffen.» Eine bedauerliche Einschränkung, findet die Tänzerin und Sportwissenschaftlerin.
Wer aber einfach etwas für sich und seinen Körper tun will und sich vom Training an der Ballettstange angesprochen fühlt, für den kann Barre durchaus das Richtige sein.
Barbara Heiner rät Einsteigern, ruhig eine Weile nach dem optimalen Kurs zu suchen. Manche Lehrer verwenden schnelle Musik und legen den Fokus eher auf Fitness, andere gestalten das Training sehr tänzerisch. «Aus meiner Sicht lohnt es sich, mehrere Angebote auszuprobieren», sagt Heiner.
Obwohl sich auch Ausdauerelemente ins Barre-Work-out integrieren lassen, ist es den Expertinnen zufolge ratsam, nebenbei etwas für Herz und Kreislauf zu tun. «Das Barre-Training findet ja drinnen statt, deswegen bietet es sich an, für die Ausdauer draußen walken oder joggen zu gehen», sagt Heiner.
Literatur:
Barbara Heiner: Barre Training, blv, 128 Seiten, 14,99 Euro, ISBN-13: 9783835415188
Fotocredits: Alexander Heinl,Jens Gerhard Schnabel,Alexander Heinl,Jens Gerhard Schnabel,Alexander Heinl,Alexander Heinl,Jens Gerhard Schnabel,Jens Gerhard Schnabel,Alexander Heinl
(dpa/tmn)
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